Pater Hermann Gasser (Fremdsein)

Jg. 1932, Optant

Und dann kam ich kurz nach Langkampfen, auch wiederum ein halbes Jahr oder so, in meinen Zeugnissen steht überall drinnen: Konnte nicht klassifiziert werden, weil erst hierher gesiedelt. Und von dort kam ich hinauf nach Unterangerberg, die Volksschule hieß Linden. Das gehört zum Ortsteil Baumgarten und zur Gemeinde Angart [?]. Und die Schule gibt’s noch, ja. Dann bekam ich einen Aufenthalt bei der Familie Fuchs, dem Franzlerbauern. Gehört zur Gemeinde Mariastein. Von dort weg nahm mich der Vater dann mit nach Rann an der Save, das heutige Brežice, an der Grenze zwischen Slowenien und Kroatien. Heute. Damals war ja alles Jugoslawien, nicht. Und diese Umsiedlung, da waren schon mehrere Südtiroler Familien beteiligt, die geschah so im Sinne von Besetzung fremden Landes. Die Einwohner wurden zum größten Teil vertrieben von der SS, innerhalb von zwei Stunden mussten die alles liegen und stehen lassen und ich bekam vier Höfe als Elfjähriger. Vier Höfe. Die gehörten mir. Die Ortschaft hieß Slowenisch Cirnik, wurde umgetauft meinetwegen auf Tirolerberg. Ja. Und dort ging ich in die Volksschule, die südöstlichste Volksschule des Großdeutschen Reiches. Der Lehrer war 19 Jahre alt, ein Gottscheer (lacht), und die Schüler waren Bessarabier, Slowenen, Kroaten, Südtiroler, Steirer, alles Mögliche. Ich kann mich noch erinnern, wir spielten das tapfere Schneiderlein mit ungefähr fünf, sechs Sprachen (lacht). Ja. Es besuchte uns Heinrich Himmler, der berühmte. Und eines Tages kamen Partisanen in dieses Dorf und haben meinen Brotgeber, einen Poster aus Bruneck, gewisser Walter Seeber, den erschossen sie in der Küche. In meiner Anwesenheit und in der Anwesenheit seiner Frau und seines Sohnes. Aber uns haben sie nichts getan, sondern sie haben nur diesen Mann erschossen und dann diese ganzen Häuser angezündet. Und damit sind unsere persönlichen Familienmöbel alle verbrannt. Der Vater hatte nichts mehr außer mich. Und mich hat er am nächsten Tag hinaufgebracht nach Gratkorn bei Graz, mehr oder weniger barfuß und zu Fuß, je nachdem. […]

[Noch einmal zurück zu der kuriosen Geschichte, dass Sie vier Höfe mit elf Jahren hatten…]

Ja! [lacht] Das war einfach die SS-Wirtschaft, die mussten ja diese Gegenden und Gehöfte besetzen. Die haben die Inhaber verjagt, auf die brutalste Weise, nicht, das war schon geschehen, als wir hinkamen, nicht. Und es lag alle noch da, Teller und so, wie man aufbrechen muss und gehen. Es war alles da noch. Und da kamen auch unsere Möbel noch in diese Häuser und so, jaja.

[Wie kann man sich das vorstellen, welche Aufgaben haben Sie in Bezug auf diese Höfe gehabt?]

Im Grunde keine, denn mit elf Jahren, ich musste ja Schule gehen. Zu essen hatten wir nur tote Katzen und rote Rüben. Sonst war ja nichts da! Und wir mussten erst die Zeit auf diese Weise überleben. Es ging nicht sehr weit von unseren Häusern der Stacheldraht, die heutige slowenisch-kroatische Grenze vorbei. Da lagen auch manchmal Tote. Wir mussten sie auf dem Schulweg zwar riechen, aber wir durften nicht hin, weil sonst hätten die Partisanen geschossen, nicht. Junger, Kinder erleben vieles anders. Und ich muss sagen, ich habe es als Kind erlebt, wie man es als Kind erleben tut. Mehr war nicht. Alles was neu war, war für uns lustig. Ich darf euch eine ganz lustige Begebenheit erzählen aus dieser Zeit. Die SS-Offiziere und die Soldaten, die waren ja noch unten, wollten in der Save baden. Nona, nichts, kein, beim Militär nichts Besonderes. Aber sie hingen ihre Kleider und Socken an die Bäume am Ufer. Und ich musste die dort vorhandenen Kühe hüten. Was ich auch tat. Und die Kühe, die riechen das Salz, und haben diese Uniformröcke und Socken gefressen mit Wohlgefallen. Einen Schaum haben sie gehabt, heruntergesabbert, (lacht) und ich habe mich verdrückt (lacht). Und die werden schon geschaut haben, die Offiziere. Ja, es gab natürlich auch negative Erlebnisse, aber das ist Krieg und ist passé.

[Die SS war präsent im Dorf?]

Ja sicher, natürlich. Ja.

[Da waren noch andere Südtiroler Familien?]

Jaja, ja klar, ein ziemliches Völkergemisch unter dem Aspekt Volksdeutsche. Wir waren auch Volksdeutsche, nicht. Und die waren dort und haben Ähnliches erlebt, es sind nicht alle erschossen worden, nicht. Aber zum Auszug gezwungen wurden sie dann schon, nicht. […] Ich habe einen Tag nach dieser Ermordung, muss ich sagen, hat mich mein Vater weg. Es war zu gefährlich. Hat er mich weg nach Gratkorn, Gratwein bei Graz. Er ging aber wieder hinunter. Wir waren dann 13 Jahre getrennt.

[Können Sie etwas zum Besuch von H. Himmler erzählen?]

Ja mein Gott, das ist bald geschildert. In Reihe auftreten, eine Stunde warten und dann ‚Heil Hitler‘, nicht. War alles. Eine Mordsrede halt, das weiß ich nicht mehr. Aber jedenfalls…

[Warum ist H. Himmler zu Besuch gekommen?]

Das weiß ich selber nicht, aber es war die südöstlichste Volksschule des Deutschen Reiches. Außerdem in gewissem Sinne eine Grenzstation wenn es auch keine echte war. Und was ihn bewogen hat, vielleicht hat er seine Einheit besucht, … SS unterstand ja ihm, war also nichts Besonders, nicht. Für mich nicht.

[Als Kind waren sie nicht aufgeregt oder haben sich gefreut oder so?]

Ja natürlich, ja klar! Kinder machen das immer! Ich war begeisterter HJ-ler [Mitglied der Hitlerjugend]! Eh klar, weil wie alle anderen auch, nicht.

[Haben Sie bei Ihnen im Ort bei der HJ mitgemacht?]

Jaja, sowieso, ja. Es mussten auch die Slowenen zur HJ, alle, jaja. Und in Graz musste ich ja auch noch.

[Was haben Sie denn gemacht in der HJ?]

Die üblichen Apelle, Flugzeugerkenntnisschule, dann die üblichen Instanzen, die man so hat, nicht. Politische Schulung etc.

[Können Sie sich an politische Schulung erinnern?]

Aber sicher, ja!

[Können Sie da etwas erzählen?]

Ja gut, ich mein, ich brauch Ihnen das Hiltlertum nicht wiederholen (lacht), das können Sie überall nachlesen, nicht. Es war halt einfach Volk, Reich und Führer usw., nicht. Und damals war das Aushalten in aller Munde und vor allem auch diese Rassengeschichten, nicht und so. Das mussten wir schon irgendwie lernen, so, soweit man eben dazu im Stande war. Man hat gesagt, dass ich nach Ende des Krieges Gouverneur werden sollte in der Krim. Weil die Südtiroler hätten sie dann da unten hingetan, weil sie Weinbauern waren. Und die Krim ist bekanntlich ein Weinort, nicht.